Aktuelles

Der ukrainische Weihbischof Zmitrowicz im Gespräch mit Antonia Nesselrode

Im Rahmen seines Besuchs in unserem Seelsorgebereich hat sich Weihbischof Zmitrowicz zu den Themen unserer Zeit geäußert.

Das Interview von Antonia Nesselrode mit Weihbischof Zmitrowicz aus der Ukraine in voller Länge: 

 

Spielt der Glaube seit dem Krieg eine größere Rolle?

Ja.

 

Inwiefern?

Erstens haben wir die Todesgefahr erfahren. Üblicherweise denkt der Mensch im Angesicht des Todes an Gott. Vor allem die Soldaten! In der ersten Frontlinie gibt es keine Atheisten. Wenn dein Mann oder dein Sohn an der Front ist möchtest du ihm helfen, und du betest für ihn. Ich denke, dass auch hier in Deutschland das Gebet für den Frieden intensiviert wurde.

Besonders ganz am Anfang des Krieges wurde bei uns viel in den Häusern gebetet, weil es nicht immer möglich war in die Kirche zu gehen. Die Bewegungsfreiheit war eingeschränkt, alles wurde kontrolliert. Wir haben viel gebetet. Jetzt vielleicht ein bisschen weniger.

Auch ich persönlich brauchte das Gebet, um keine Angst zu haben. Und ich denke viele andere auch. Während man unter der Angst leidet, stellt man Gott die Frage: Warum? Diese Frage nach dem „Warum“ ist schon der erste Schritt im Dialog mit Gott.

 

Wie beeinflusst der Krieg Ihr persönliches Leben?

Der Krieg ist für jeden eine Herausforderung. Auch ich habe die Angst erlebt. Ich habe gebetet und der Herr hat mir immer geholfen. Ich kann sagen, dass diese Zeit für mich eine gute Zeit ist. Ich mache die Erfahrung von Freiheit, durch die die Angst mich nicht beherrscht. Bei den Reisen, den Besuchen von Menschen muss ich immer das Risiko einkalkulieren, dass etwas passiert. Bei diesen Besuchen erfahre ich die Freiheit und dass der Tod keine Macht über mich hat.

Es ist so, dass ich die meiste Zeit in den Gebieten bin, die als sicher gelten, abgesehen vom ersten Monat, in denen wir alle die Erfahrung gemacht haben, in der Todeszelle zu sein. Später haben wir gelernt, damit zu leben. Wir haben erfahren, dass es in unserem Gebiet nicht so schlimm ist. Jetzt kommt der Winter und wir fragen uns alle, wie er sein wird. Ein großer Teil der Energieversorgung wurde zerstört. Wenn die Zerstörung fortgesetzt wird, wird es nicht warm sein. Im Winter wird es sehr schwierig.

 

Wer ist der ukrainische Schutzpatron?

Es gibt verschiedene: Die heilige Olga, der heilige Wladimir, die heiligen Kyrill und Methodius, der heilige Clemens, der heilige Michael.

 

Worin bestehen Ihre Aufgaben in dieser besonderen Zeit?

Meine Aufgaben sind sehr vielfältig. Wie jeder Bischof verkündige ich das Wort.

Ich besuche die Pfarreien, vor allem war das am Anfang des Krieges sehr wichtig. Ich versuche, die Menschen zu ermutigen. Es gab viele Anrufe, vor allem mit den Priestern, die unterschiedlich eingesetzt sind. Ein großer Teil meiner Aufgaben ist der Bau eines geistlichen Zentrums (Therapiezentrum für die Kriegsgeschädigten & Priesterseminar). Außerdem koordiniere ich die Hilfe, die in unserem Bistum ankommt, vor allem finanzielle Hilfe, aber auch die Hilfstransporte, weil sie auf ganz unterschiedliche Weise ankommen

Ich feiere aber auch Firmungen und unterschiedliche andere Kirchenfeiern.

Auch machen wir zu zweit Hausbesuche. Eine wichtige Aufgabe ist natürlich das Gebet.

 

Waren Sie schon einmal in einem Kriegsgebiet?

Nein.

 

Wie finden Sie den Sinn in all dem Leiden?

Ich bin fest davon überzeugt, dass der Herr nach jedem Menschen sucht. Es gibt ein Buch von einem englischen Schriftsteller, C.S. Lewis, das heißt „Dienstanweisung an einen Unterteufel“. In diesem Buch entlarvt er viele Arten, auf die der Teufel wirkt. Der jüngere Teufel freut sich und ist glücklich, dass es zu einem Krieg gekommen ist – ein großer Erfolg. Der ältere Teufel meint dazu: Ja es ist ein Erfolg. Menschen tun viel Böses. Aber während des Krieges werden Menschen auch viel Gutes tun und vor allem denken die Menschen an den Tod und an Gott. Aber unser Ziel ist, dass die Menschen essen und trinken und nicht an Gott denken. Damit sie leben wie Vieh, das frisst und später geschlachtet wird. Das ist unser Ziel. Dass sie essen und trinken und in unsere Hände fallen.

Der Krieg führt dazu, dass wir über Gott und den Tod nachdenken. Gott möchte jeden retten. Heute habe ich etwas Interessantes gelesen, nämlich dass die Menschen, die im Fegefeuer sind, ihr ganzes Vermögen geben würden, um für einen Augenblick auf die Erde zu kommen und zu beichten oder zu fasten, etwas Gutes zu tun.

Das alles ist keine Rechtfertigung für einen Krieg. Es ist eine Konsequenz des Bösen, das in uns ist. Wir sehen, wozu der böse Geist in der Lage ist, wenn wir Gott aus den Augen verlieren, dass eine Gesellschaft die Beziehung zu Gott verliert. Ich bin mir sicher, dass der Krieg ein großer Ruf zur Umkehr für uns ist, die wir in der Ukraine leben. Wir sollten uns eine Frage stellen: Im Namen welcher Zukunft verlieren die Soldaten ihr Leben? Soll die Ukraine nach dem Krieg so sein wie vorher? Ungerechtigkeit, Korruption, Abtreibung, Demoralisierung Jugendlicher? Der Ruf gilt auch der ganzen Welt. Auch hier kann jederzeit wieder ein Krieg ausbrechen.

 

Was macht Sie in den Momenten stark, in denen Sie Angst haben?

Das Gebet, Gott, unser Vater, aber auch das Ambiente, in dem ich lebe, mein Bischof Leon Dubrawski ist sehr mutig, auch schon in der Covid-Krise hat er sehr viele Menschen ermutigt. Wir kannten seinen Mut schon vor dem Krieg. Wir konnten unser Glaubensleben schon vorher ausleben.

 

Spüren Sie die Gebete, die für die Ukraine gebetet werden?

Es ist nicht leicht zu sagen: „Ja, ich spüre es.“ Aber wir nehmen große Unterstützung und Beistand wahr. Auch der Mut und Solidarität, Opferbereitschaft. Ich bin überzeugt, dass dies eine Frucht von den vielen Gebeten ist.

Im Messbuch gibt es verschiedene Formulare. Eines ist für den Moment des Krieges und wir haben dieses Formular zum ersten Mal zu Beginn des Krieges gebetet: Darin u.a. eine Bitte an Gott, dass er den Hochmütigen demütigen soll. Ich habe damals gedacht, Gott wird Russland demütigen, um uns zu retten. Der stolze demütige Mensch verschließt sich für die Gnade Gottes und er braucht Demütigung. Denn Hochmut ist der Hauptgrund des Krieges. Nicht nur der Hochmut Putins, sondern auch der Hochmut der Nationen, Nationalstolz und Egoismus. Wir kennen den eigenen Egoismus. Manchmal passiert das sehr stark. Das ist meine Meinung, vielleicht liege ich falsch.

Jesus Christus hat die Probleme vorausgesagt: Kriege, Konflikte, Verfolgungen, aber die Menschheitsgeschichte ist vor allem eine Heilsgeschichte, weil Gott jeden retten möchte. Aber es ist nicht so leicht uns zu retten, wegen unseres Hochmuts und unseres Stolzes, auch ich persönlich brauche regelmäßig Demütigung, um von meinem Stolz befreit zu werden. Wir lernen, dass es Gott ist, der die Geschichte leitet. Der Krieg zeigt die Wahrheit, zeigt wer wir sind. Er kann uns helfen, uns an Gott zu wenden. Es geht nicht darum, in die Kirche zu gehen, um zu zeigen, was für ein anständiger Mensch man ist, sondern um eine lebendige Beziehung zu Gott zu haben.

 

Sind die Menschen in der Ukraine näher aneinandergerückt?

Mit Sicherheit. Sehr viele Menschen sind näher aneinandergerückt. V.a. im Kriegsgebiet, unter den Soldaten herrscht eine brüderliche Verbindung.

Aber der menschliche Egoismus hat nicht aufgehört, z.B. wenn ein Transport mit Hilfsgütern kommt und einer mehr nimmt als der andere, dann gibt es Vorwürfe. Es entsteht großes Leiden dadurch, dass Familien auseinandergebrochen sind und kein Kontakt herrscht. Das kann auch zu Problemen führen. Auch für die Soldaten, die nach Hause zurückkehren und oft große Schwierigkeiten haben, ist es problematisch, in die Normalität zurückzukehren, denn sie haben etwas Schreckliches erlebt. Ihre Psyche ist angegriffen, keiner versteht sie, auch nicht die nächste Familie. Oft suchen sie Flucht in Alkohol und Drogen.

 

Wie kam es dazu, dass Sie Priester wurden, wie wurden Sie berufen?

Ich bin kein braver Junge gewesen. Ich war auch kein großer Bösewicht, aber keiner aus meiner Umgebung ist auf die Idee gekommen, dass ich in diese Richtung gehe. Meine Tante hat mir ein Buch von Jesus von Nazareth geschenkt, als ich 16 Jahre alt war. Das Buch war  von Roman Brandstaetter, ein Jude, der zum Christen konvertiert ist. Als sie mir das Buch geschenkt hat, dachte ich, wer liest solche Bücher? Aus Langweile habe ich es dann einmal gelesen. Das Buch hat mich sehr berührt, es hat zu meiner Umkehr geführt, hat mir eine innere Freiheit geschenkt, die mich dazu bereit gemacht hat, alles zu tun. Ich wusste noch nicht was, aber ich hatte diese innere Bereitschaft. Am 1.11.1980, mit 18 Jahren, bei einem Familientreffen wurde ich gefragt, was ich werden würde. Dieselbe Tante sagte, ich würde Missionar werden. Nachdem sie das gesagt hat, habe ich in meinem Inneren entschieden: Ja, ich werde Missionar. Ich habe darüber nachgedacht: Gibt es einen oder keinen Gott? Ja, es gibt einen. Und wenn es einen gibt, dann muss man alles für ihn tun. Meine Tante, die Schwester meines Vaters, wurde als Mädchen nach Sibirien verbannt und hat sehr gelitten, auch im Leben erfuhr sie viel Leid. Sie war sehr sensibel, viele dachten, sie sei nicht ganz normal, vielleicht stimmt das, aber ich habe ihr sehr gut zugehört. Sie hat vieles gesehen, was andere nicht gesehen haben.

 

Welche schönen Erfahrungen machen Sie im Moment?

Vor allem die Erfahrung, dass es einen Gott gibt. Ein Beispiel: Ein Schüler von mir ist als Diakon in das sehr nördliche Kanada gefahren und hat mich später darum gebeten, dass ich bei seiner Primiz die Predigt halte. In der Kirche fragte ich ihn: „In diesem eisigen Norden voll Eis und Schnee: Was ist hier das Schönste?“. Er sagte: „Der Herrgott“. Auch hier gibt es schöne Dinge, alles ist schön, aber wann kann ich sie sehen, die Schönheit des Alltags? Wenn ich an den denke, der das alles schenkt. Ich empfinde das nicht immer so intensiv. Es gibt auch schwierige Momente.

 

Haben sie ein Gebet, das Sie uns ans Herz legen wollen?

In jeder Etappe unseres Lebens begleiten uns unterschiedliche Gebete.

Abgesehen vom „Vater unser“ bete ich drei Gebete:

Die Sequenz zum Heiligen Geist,

ein Gebet zum Schutzengel (Heiliger Schutzengel mein, lass mich dir empfohlen sein; in allen Nöten steh mir bei und halte mich von Sünden frei. An diesem Tag (in dieser Nacht), ich bitte dich, beschütze und bewahre mich. Amen.

und die Marienweihe.

Ein Gebet, das mir auch sehr gut gefällt trägt den Namen „Seele Christi, heilige mich“

(Seele Christi, heilige mich. Leib Christi, rette mich. Blut Christi, tränke mich. Wasser der Seite Christi, wasche mich. Leiden Christi, stärke mich. O gütiger Jesus, erhöre mich. Birg in deinen Wunden mich. Von dir lass nimmer scheiden mich. Vor dem bösen Feind beschütze mich. In meiner Todesstunde rufe mich, zu dir zu kommen heiße mich, mit deinen Heiligen zu loben dich, in deinem Reiche ewiglich. Amen.)

 

Inwiefern ist es gut sich zu verteidigen?

Es gibt keine Wahl. Ich bin überzeugt, dass Russland die Ukraine vernichten möchte. Es geht nicht um einen Landstrich, sondern einmal für immer das Problem der Ukraine aufzulösen, weil die russische Mentalität imperial ist. Sehr große Autoritäten haben auch geistige Kämpfe. Leider haben auch schon manche davon gesprochen, dass es keinen Preis gibt, den man zahlen soll, damit es keine Ukraine mehr gibt. So ist die Situation. Auch wenn jemand den christlichen Geist hat und niemanden töten möchte, ist das gut. Aber man kann nicht davor fliehen, man muss die Gefahr aushalten, man kann auch als Sanitäter oder anders helfen. Der Staat sollte respektieren, wenn jemand nicht töten möchte. Und es ist uns bewusst, dass es nicht nur Aggressionen vom Osten gibt. Es gibt auch eine starke geistige Aggression des Westens. Vor dem Krieg haben wir gedacht: Was ist besser, unter Russland oder unter dem Westen? Aber es geht um das Leben. Die Ukraine möchte leben und hat ein Recht darauf. Erst dann wird sich die Frage stellen wie. Aber zuerst retten wir das Leben ohne zu wissen, wie sich das Leben danach entwickelt. Zuerst müssen wir Menschenleben retten. Natürlich kann uns danach auch der Hochmut einholen: Wir sind die Sieger, die Stärksten. Wir vergessen schnell. Wir Menschen sind so.